Tad Lo

 

Tad Lo ist ein kleines abgelegenes Dörfchen auf dem Bolaven-Plateau, das bekannt ist für seinen Kaffee-Anbau und seine vielen Wasserfälle. Warum suchen wir uns ausgerechnet Tad Lo aus? Ich weiß es nicht, aber es ist genau der richtige Ort für uns.

 

Von Pakxe aus fahren wir mit unseren gemieteten Rollern dorthin, nur mit dem Nötigsten an Gepäck. Die Straße ist anfangs keine Freude, es fahren viele LKWs auf dieser Strecke, die weder sonderlich gut in Schuss sind noch besonders umsichtig und aufmerksam fahren. Nicht nur einmal werden wir mehr als knapp überholt. Je weiter wir fahren, desto ruhiger wird es auf der Straße.

Immer wieder durchfahren wir kleine Straßendörfer, deren Charme nicht gerade betörend ist. Es ist gerade Erntezeit für Maniok. Überall trocknen die klein geraspelten weißen Rübenschnitze in der Sonne oder werden von den Leuten zu großen Sammelstellen gefahren, wo riesige Berge auf ihren Weitertransport warten. Ein seltsam bitterer Geruch geht von diesen Wurzeln aus, der uns die ganze Fahrt über immer wieder begegnet.

 

Das erste, das wir von Tad Lo sehen, ist der Wasserfall in der Nähe des Dorfes. Das zweite sind Elefanten. Bei der ersten Lodge, die wir ansteuern, stehen sie friedlich unter den Bäumen. Im Fluss baden Kinder und johlen vor Vergnügen. Vom Dorf ist noch nichts zu sehen.

 

Die nächste Unterkunft, die uns begegnet, nehmen wir für zwei Tage. „Green Garden“ steht auf dem selbst gemalten Schild, darunter ein weiteres Schild mit einem unschlagbaren Argument, dort einzuziehen – „Selfmade Pizza“. Die Aussicht, endlich einmal wieder Pizza zu essen statt Reis, ist zu verlockend. Leider werden wir in diesen Genuss während unseres Aufenthaltes nicht kommen. Trotzdem ist dieser Ort der Beste, den wir finden konnten, wie sich mit den Tagen herausstellen wird.

 

Unser Nachbar ist ein wortkarger Österreicher, der nun schon seit 9 Jahren in der Welt unterwegs ist und seinen Kaffe selbst röstet, unser Gastgeber ein Franzose, der die Unterkunft gemeinsam mit einen Freund führt.

 

Früh morgens kommen die Bauersfrauen mit ihren Töchtern durch das Dorf und durch den Garten. Sie verkaufen Obst und Gemüse. Selbst die Kleinsten Tragen ihren geflochtenen, gefüllten Korb auf dem Rücken, sie sind nicht älter als vier.

 

Morgens kommen auch einige Frauen aus dem Dorf zu unserem Guesthouse, machen sauber, sitzen auf der Veranda und unterhalten sich mit dem Besitzer. Mit ihnen kommt und geht eine Schar von Kindern.

 

 

Es gibt für die geringe Größe des Ortes recht viele Guesthouses und einige „Restaurants“, die die Besucher beherbergen und versorgen.

 

Die ausgewiesenen Hauptattraktionen des Dorfes sind der Wasserfall und die Elefanten, die morgens und abends im Fluss gebadet werden. Tatsächlich aber ist es das Dorf selbst, das sehr besonders ist. Die ersten Tage nehmen wir dies nicht so wahr. Ja, es ist ein schöner Ort, entspannt und ruhig für uns. Auf der Straße laufen Ziegen und Schweine zusammen mit Hühnern und Hunden herum. Überall sind Kinder. Der Lauf der Dinge scheint hier ruhig und gemächlich. So wirkt es zumindest auf uns.

 

Das die Dinge nicht einfach und leicht für die Menschen ist, sieht man, wenn man genauer hinschaut.

Am ersten Tag begegnen uns am Fluss einige Jungen, die kleine Plastiktüten mit lösungsmittelhaltigen Flüssigkeiten mit sich herum tragen und immer wieder daran schnüffeln. Sie sind ganz benommen und euphorisch, sie sind vielleicht 10 Jahre alt.

 

Es gibt eine Schule, sie ist jedoch die ganze Regenzeit über geschlossen. Die Kinder beschäftigen sich selbst, wenn sie nicht Zuhause mithelfen müssen. Auch scheint der Lerneffekt bei vielen Kindern recht gering auszufallen. Nicht wenige Kinder können die laotische Schrift nicht, geschweige denn Englisch, was ihnen in ihrem Dorf mit den zunehmenden Besuchern sehr hilfreich sein könnte.

 

Wir lernen einen weiteren Franzosen kennen, der sich hier nieder gelassen hat. Auch er hat ein Guesthouse mit Restaurant, die „Fandee Family“. Er hat mehrere Kinder unter seine Fittiche genommen von Familien, mit denen er sich mit der Zeit angefreundet hat und deren Mittel mehr als bescheiden sind. Über die Freundschaft mit den Familien ist eine Mitverantwortung für die Kinder gewachsen, aber darüber später mehr.

 

Auch unser Gastgeber hat zwei Kinder bei sich aufgenommen. Sie kamen jeden Tag zu ihm als der kleinere der beiden Jungen noch ein Baby war und sein großer Bruder auf ihn aufpasste, während die Eltern auf dem Feld arbeiteten. Immer wieder hatte er für sie Beide um essen gebeten, und irgendwann sind sie geblieben.

 

Welche Konflikte Armut und Mangel in Familien auslösen können, haben wir ja schon in Phnom Penh bei „Kaleb“ erlebt. Hier begegnet es uns nun wieder sehr nah.

Der ältere Junge ist etwas älter als Sontje und freut sich sehr an unseren Beiden. Stundenlang spielen sie gemeinsam Uno, er begleitet uns an den Fluss zum Baden, isst mit uns. Die Sprachbarriere ist nicht vorhanden für die Kinder. Mit den Tagen wird ihr Kontakt immer intensiver. Freunde.

 

Aber wir haben ja noch etwas vor. Tad Lo ist zwar ein sehr einladender Ort, trotzdem möchten wir noch mehr vom Bolaven-Plateau sehen, noch andere Orte besuchen, zum Leidwesen der Kinder, die am Liebsten hier bleiben würden.

Als besonderen Abschluss reiten wir auf den Elefanten. Wir sind schließlich im „Land der 1000 Elefanten“, auch wenn dies schon längst nicht mehr der Realität entspricht. Als Arbeitstiere werden sie nur noch selten eingesetzt, was für die Tiere eine Erleichterung ist. Aber wer nicht arbeitet und kein Geld einbringt, der ist nichts wert und wird auch nicht sonderlich gut behandelt.

 

Es gibt einige Organisationen, die den Bestand der Elefanten in Laos erhalten und gleichzeitig ihre Lebenssituation verbessern möchten, indem sie den Besitzern zeigen, wie sie ihre Dickhäuter für den Tourismus einsetzen und mit ihnen Geld verdienen können.

 

Den beiden Elefanten hier scheint es gut zu gehen. Sie werden gut versorgt, bekommen ausreichend zu fressen, dürfen morgens und abends im Fluss baden. Eine der beiden Elefantendamen ist krank, deshalb wird sie geschont und darf sich ausruhen, während ihre Freundin uns ganz gemächlich durch den Wald schaukelt. Sie gibt das Tempo an, bleibt immer wieder stehen und frisst, Sie lässt sich alle Zeit der Welt und ihr Mahoud lässt sie gewähren. Nur ab und zu lenkt er sie, indem er sie mit den Füßen leicht hinter den Ohren tritt.

 

Es ist ein großartiges Gefühl, von einem solch mächtigen Tier getragen zu werden und die Welt von oben zu sehen.

 

Dann kommt der Abschied. Drei traurige Kinder stehen sich gegenüber, winken sich nach, als wir unseren Weg fortsetzen und Tad Lo verlassen, um das Bolaven-Plateau weiter zu erkunden.

 

Unser Ausflug dauert genau einen Tag. Während unserer Fahrt begegnen uns lauter unattraktive Orte, der Himmel zieht immer mehr zu, es beginnt zu regnen. Wir finden gerade noch Unterschlupf bei einem Kiosk ,bevor es anfängt in Strömen zu regnen. Mit uns sitzen einige Jugendliche fest, die wie wir, auf besseres Wetter warten. Der Kiosk hat keine große Auswahl. Fertigsuppe, aber kein heißes Wasser und jede Menge kleiner Chipstüten, die wir nacheinander alle durchprobieren. Seit Monaten friere ich zum ersten Mal wieder. Ich hatte fast vergessen, wie sich das anfühlt.

Irgendwann lässt der Regen nach, die Jugendlichen sind schmerzfreier als wir und fahren los. Wir warten noch eine Weile, dann machen auch wir uns auf den Weg und auf die Suche nach einer Unterkunft. Der Tag ist verflogen, nur ausgefüllt mit Fahren, Warten und Frieren.

 

Wir folgen einem Schild, das zu einem Wasserfall und angeblich auch zu einer Unterkunft führt. Am Ender der Schotterstraße erwartet uns ein Kassenhäuschen, das den Eintritt für den Wasserfall kassieren möchte, und „Parkplatzwächter“, die Parkgebühren verlangen. Nein, eine Unterkunft gibt es noch nicht, sie ist noch im Bau. Die Laune sinkt, für den Wasserfall haben wir keine Nerven, wir brauchen einen Platz zum Schlafen. Also weiter.

 

Der nächste Wasserfall mit Unterkunft. Dort gibt es tatsächlich eine Lodge in sehr schöner Lage, nur leider nicht in unserer Preisklasse und nicht mit sonderlich einladender Atmosphäre. Langsam drängt die Zeit, die Sonne ist inzwischen zum Glück wieder da, wir wieder trocken, aber sie steht nun schon recht tief am Himmel. Es wird Zeit.

 

Ein weiterer Wasserfall. Wir versuchen unser Glück. Die Straße ist matschig und rutschig, mehrfach gerate ich mit meinem Roller ins Schlingern, weil die Reifen abgefahren sind. Auch hier empfängt uns eine Frau. Eintritt und Parkgebühren, bitte. Der Platz ist sehr schön, aber auch hier keinerlei Übernachtungsmöglichkeit. Die Rückfahrt über die Matschstraße strapaziert meine Nerven aufs Äußerste. Mehrfach muss Jorne absteigen und laufen, weil ich nicht riskieren möchte, mit ihm umzufallen.

 

Wieder auf der Teerstraße angelangt, sehen wir gegenüber ein Guesthouse. Hier bleiben wir für eine Nacht. Unsere Suche nach Essen gestaltet sich schwierig. Die einzige einladende Hütte hat leider kein Essen mehr für uns. Wir finden noch eine Suppenküche, die uns versorgt, dann ist der Tag auch vorbei.

 

Sowohl die Menschen als auch die Atmosphäre kommen mir sehr rauh und abweisend vor. Die Straßenhunde haben Angst vor den Leuten. Sie werden vertrieben, beworfen, getreten. Es mag mit an der Durchfahrtsstraße liegen, die alles mit sich zu reißen scheint, den Ort in zwei Teile schneidet und den Menschen Unruhe und Rastlosigkeit beschert.

Schon abends steht unser Entschluss fest. Wieder nach Pakxe möchte keiner, wir haben noch Zeit, die möchten wir nutzen. Aber wir wollen nicht mehr nach anderen schönen Orten suchen. Wir wollen zurück nach Tad Lo. Erleichterung und Vorfreude machen sich breit.

 

Morgens sind wir früh auf, setzen uns ohne Frühstück auf die Roller und fahren die gesamte Strecke vom Vortag – dieses Mal zum Glück ohne Regen – in einem Rutsch zurück. Um 10.00 Uhr sitzen wir wieder bei unserer Frühstücksbude, als wären wir nie weg gewesen, glücklich, wieder hier zu sein.

Jetzt erst wissen wir den Ort richtig zu schätzen, nachdem wir erlebt haben, wie es andernorts ist.

 

Es hat etwas von Nach-Hause-Kommen, als wir wieder beim Green Garden ankommen und unsere Zimmer beziehen. Endlich wieder da, glückliche Kinder.

 

Abends erfahren wir bei der Fandee-Family, dass es dem Besitzer damals genauso ging, als er zum ersten Mal hier war. Auch er kam nach einem erfolglosen und enttäuschenden Ausflug über das Bolaven-Plateau wieder zurück nach Tad Lo. Jetzt lebt er dort und versucht, nicht nur für sich sein Auskommen zu finden, sondern auch den Kindern eine Perspektive zu eröffnen, für die er Mit-Verantwortung übernommen hat. Sie können jederzeit in seinem Haus übernachten, wenn sie möchten. Er finanziert die Schulbildung und zusätzliche Lernangebote, besorgt die notwendigen Materialien. Und er trägt Sorge für ihre Zukunft.

 

Seine Idee: die Kinder sollen lernen, ein Guesthouse mit Restaurant zu führen. Dafür hat er ein Grundstück gekauft mit See und einer kleinen Insel. Am Ufer des Sees sollen die Gästehütten entstehen, auf der Insel ist das Restaurant geplant. Doch der Baubeginn hat sich verzögert. Im Dorf gab es das Gerücht, dass auf der Insel noch Minen liegen. Ein halbes Jahr musste er warten, bis das Minenräumkomando kam, die Insel und das Ufergelände untersuchte und schließlich Entwarnung gab. Keine Minen, keine Blindgänger. Jetzt kann es losgehen.

Ganz finanziert ist das Projekt noch nicht. Jeder, der Unterstützung leisten möchte, kann spenden oder sich einen oder mehrere Aufenthalte in dem neuen Guesthouse sichern und im Voraus bezahlen, damit die Idee Wirklichkeit werden kann.

Wenn jemand von Euch Interesse hat, findet Ihr die Fandee-Family

 

Unsere Zeit in Tad Lo verläuft geruhsam, wir schwimmen im Fluss, faulenzen, genießen die Ruhe und fühlen uns sehr wohl.

Für die Dorfbewohner wird es nun arbeitsintensiver. Das laotische Neujahrsfest steht vor der Tür. Überall laufen die Vorbereitungen für dieses Ereignis, das im Dorf groß gefeiert wird und Leute aus der ganzen Umgebung anzieht.

Es werden Verkaufsstände zusammengezimmert, überall schießen Unterstände aus dem Boden wie Pilze, den ganzen Tag wird Holz herbei geschafft, wird gehämmert und wild gebaut.

 

Immer wieder kommen Pickups ins Dorf und verlassen es mit einer Ladung Schweine. Sie werden das Neujahrsfest nicht überleben. Auch im Dorf wird fleißig geschlachtet, auf der Betonplatte vor der Haustür, die geschlachteten Schweine liegen nebeneinander im Schatten, um auszubluten. Für die Kinder ist es zwar ein wenig traurig, aber sie sehen die Normalität darin. Es ist nichts besonderes für die Menschen hier, es ist Teil des Alltags. Und zu erleben, wie gut die Tiere bis dahin gelebt haben, erleichtert es für sie.

 

Je näher das Fest rückt, desto drängender wird unsere Abreise. Wir werden nicht mehr mitfeiern,

wir müssen zurück nach Pakxe, unsere Reise schreitet weiter voran.

Ein weiterer Abschied von Tad Lo und seinen Menschen.

 

Und dieses Mal schmerzt er uns alle.



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